Gendern: Ja oder Nein?
Zum Gendern gibt es viele Meinungen und unzählige Pro- und Contra-Argumente. Jeder darf das zum Glück so halten wie er möchte. Doch um das Thema gibt es zuweilen sehr erhitzte Debatten und früher oder später steht man als Unternehmen vor der Frage "Gendern: Ja oder Nein?".
Gender-Befürworter argumentieren, dass der Aspekt des Geschlechts aktiv in die Sprache integriert werden müsse, um geschlechtsspezifischer Diskriminierung entgegenzuwirken. Was zunächst nach einer guten Sache klingt, entbehrt bei genauerem Hinsehen einer gewissen Logik.
Damit sich tatsächlich alle Personengruppen angesprochen fühlen, reicht es ohnehin nicht aus, immer die weibliche UND männliche Variante zu benutzen, da z.B. nicht-binäre Menschen trotzdem diskriminiert würden. Man sollte dann schon konsequent das Gendersternchen benutzen, um auch diversgeschlechtliche Personen zumindest typografisch sichtbar zu machen.
Ich persönlich empfinde den sprachlichen Fokus auf das biologische Geschlecht als eher kontraproduktiv. Anstatt dem Geschlecht generell weniger Bedeutung beizumessen, wird die Trennung so noch stärker betont. Zudem ist Gendern eine sehr oberflächliche und rein kosmetische Anpassung der Sprache. Die wirklichen Missstände wie gravierende Ungleichbehandlungen, Lohnunterschiede oder Gewalt zwischen den Geschlechtern lassen sich dadurch nur schwerlich beheben.
Texte in Gendersprache zu verfassen, fällt mir zugegebenermaßen darum eher schwer. Und ein Text soll ja irgendwie auch schön sein. Mit dieser Meinung stehe ich übrigens nicht alleine da. Tendenziell wird das Gendern von der Bevölkerung nämlich eher negativ gesehen. Laut Meinungsumfragen¹ hat die Mehrheit der Menschen in Deutschland Vorbehalte und lehnt das Gendern in Medien und Öffentlichkeit ab.
In gewissen Branchen (z.B. Sozialwesen) ist Gendern inzwischen üblich und wird auch recht rigide umgesetzt. Allerdings sind die Fallstricke im Alltag kaum zu übersehen – korrektes Gendern will halt gekonnt sein! Zu viele Varianten und Empfehlungen machen es nicht gerade einfach, Gendersprache innerhalb eines Unternehmens einheitlich umzusetzen, auch wenn der gute Wille da ist. Und spätestens beim Genitiv oder Dativ straucheln selbst geübte Gender-Verwender ...
Neulich las ich ein Interview² mit einer Expertin zum Thema, die sich als linguistische Unternehmensberaterin tagtäglich mit Genderlinguistik und Kommunikation auseinandersetzt. Locker flockig versucht sie zu vermitteln, das sei alles nur eine Frage von Wollen, Gewohnheit und etwas sprachlicher Kreativität. Weiter klärt die Genderexpertin auf, dass Menschen nun mal Gewohnheitstiere und Veränderungen eben entsprechend unbeliebt seien. Doch "mit dem Laufe der Zeit gewöhnen sich auch die Gegner:innen daran". Obwohl die Vorbehalte gegenüber gendersensibler Sprache ganz offensichtlich weiter zunehmen, resümiert sie, "dass gerade junge Zielgruppen gendergerechte Sprache als immer selbstverständlicher erachten." Ob das vielleicht daran liegt, dass genau diese Zielgruppen schon in der Schule konsequent dahin gelenkt wurden? Wahrscheinlich kennen junge Menschen auch einfach den grammatikalischen Unterschied zwischen Genus und Sexus nicht mehr, während dies für Menschen im gesetzteren Alter noch völlig normal ist.
Als Germanistin kenne ich mich mit der Materie zufällig aus und versuche es kurz zu erklären: Der Genus wird i.d.R. übergeschlechtlich verwendet, also der Gast, der Mensch, die Person, die Waise, das Kind, das Individuum usw. Der Sexus stellt eine weitere Aufsplitterung in männlich und weiblich dar. So wie bei "die Katze". Hier steht die weibliche Form als Oberbegriff für alle Tiere dieser Gattung. Nur wenn wir es genauer spezifizieren möchten, sagen wir "der Kater", sofern explizit ein männliches Tier gemeint ist. Genauso wird "der Kunde", wenn weiblich, zu "die Kundin". Zu behaupten mit "der Kunde" seien aber immer nur Männer gemeint, allein weil "der" davorsteht, ist schlichtweg falsch.
Das generische Maskulinum ist eben nur grammatikalisch männlich, und hat nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Schließlich wäre sonst auch die Tasse weiblich und der Tisch männlich.
Den grammatikalischen Oberbegriff verwendet man auch, wenn eine gemischte Gruppe besteht. Dieser Oberbegriff gilt immer für beide Geschlechter. Bestimmte Sachverhalte kann man so überhaupt erst formulieren, z.B. "Jeder dritte Unternehmer in Bayern ist eine Frau." oder "Wir kennen weder Name noch Geschlecht des Verdächtigen." Warum das im Deutschen häufiger die männliche Variante ist, darüber herrscht unter Experten keine Einigkeit. Die These, es sei die Folge einer überwiegend patriarchalisch geprägten Gesellschaft, ist jedenfalls aus sprachwissenschaftlicher Sicht nicht haltbar. Es hat aber durchaus Vorteile. Aus der männlichen Form lassen sich z.B. leichter Adjektive ableiten (Dichter -> dichterisch) und Sätze wie "Frauen sind die besseren Autofahrer" ergeben dadurch erst einen Sinn ;-)
Aber über solch sprachliche Feinheiten setzt sich o.g. Marketingexpertin für Gendersprache gerne mal hinweg, entsprechend finden wir folgende Formulierung: "Weibliche Nutzerinnen haben andere Bedürfnisse als männliche". Aha, weibliche Nutzerinnen haben andere Bedürfnisse als männliche ... ähm Nutzerinnen? Wenn schon, dann müsste es doch wohl "Weibliche Nutzer:innen" heißen, damit die männlichen Nutzer korrekt benannt sind ...
Doch kommen wir langsam zu meinem eigentlichen Thema, nämlich der Frage, ob gendergerechte Sprache im Marketing sinnvoll ist. Der geneigte Leser kann sich an dieser Stelle bereits denken, worauf ich hinaus möchte. Doch bitte nicht zu früh falsche Schlüsse ziehen. Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Verwendung von weiblicher und männlicher Variante. Ich warne nur davor, aus reinem Übereifer auf den Gender-Zug aufzuspringen. Nicht alles, was politisch korrekt ist, muss auch inhaltlich richtig sein!
Gendersensible Sprache ist ein sehr weites Feld. Am besten, man entscheidet immer individuell, wie beim Texten jeweils vorzugehen ist. In der höflichen Anrede ist es z.B. ein leichtes, Genderempfehlungen zu berücksichtigen. In längeren und anspruchsvollen Texten würde ich jedoch davon abraten. Aber auch bei Kleinstmedien wirkt es eher nervig, wenn variantenreiche Gendersprache bereits den Löwenanteil des Textes ausmacht, so dass man die Schrift am Ende auf 6 pt verkleinern muss, damit es überhaupt passt. Auch ist es von Bedeutung, ob ich auf Social Media schreibe oder für ein Printmedium, bei dem die Herausforderung bereits darin besteht, viele Informationen bei begrenzter Zeichenmenge unterzubringen oder Spalten und Millimeter einzusparen, wie bspw. bei Zeitungsanzeigen. Konsequentes Gendern kann dann schnell auch kostspielig werden ...
Komplexe Sachverhalte so aufzubereiten, dass sie mühelos vom Leser verstanden werden und auch noch einigermaßen gut klingen, ist allein schon eine Kunst für sich. Will man dabei auch noch gendergerecht schreiben, bleiben Textqualität und Lesefluss schnell auf der Strecke. Umso mehr, wenn Mitarbeiter mit dem Erstellen korrekter genderkonformer Texte eigentlich überfordert sind.
Aber auch für diese Problem hat die linguistische Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt „Gender & Diversity“-Consulting eine Lösung: Wenn das Unternehmen eine klare Entscheidung getroffen hat, wie gegendert wird, sollte man " in einem Workshop oder einer Projektgruppe einen Vorschlag erarbeiten. Dieser wird dann in einen Gender-Leitfaden überführt, da Mitarbeiter:innen sprachlichen Support benötigen und es viele Zweifelsfälle gibt. (...) Danach erfolgt ein Roll-Out in alle wichtigen Medien des Unternehmens und alle Kommunikator:innen werden entsprechend geschult; es sollte auch niederschwellige Angebote, z.B. durch Info-Filmchen, Beiträge im Intranet etc. geben, um auch die Message klar zu machen: Wer nicht gendert, verpasst die vielleicht wichtigste Transformation des 20. Jahrhunderts ...". Aha.
Das klingt alles doch recht aufgebläht. Vielleicht geht es auch eine Nummer kleiner ...?
Meine Empfehlung lautet, im Zweifel lieber die – grammatikalisch korrekte – alle Geschlechter einbeziehende, leicht verständliche Form des generischen Maskulinums zu verwenden. "Kunden" kann nämlich zweierlei bedeuten: "Menschen, die einkaufen" ebenso wie "Männer, die einkaufen". Und kaum ein Unternehmen wird wohl plötzlich von einem riesigen, bisher brachliegenden Käufer:innenpotenzial profitieren, nur weil es die Formulierung Kund:innen verwendet. Und Achtung: Wer gendert, um bei einer jungen, "woken" Zielgruppe zu punkten, verprellt damit vielleicht seine besonders treue und zahlungskräftige Käuferschaft, die das Gendern für Mumpitz hält.
Im Zweifel sollte man im Marketing mit dem Gendern genau so verfahren, wie man dies auch ganz privat handhaben würde. Alles andere ist einfach unglaubwürdig. Leider stellen allzu viele Firmen, Institutionen oder Verbände zwecks "Woke-Washing" ihre "offizielle Sprache" um, kommuniziert man dann aber mit diesen Firmen direkt und etwas informeller, sieht die Sache schon anders aus –kaum einer nutzt dann noch konsequent Gendersprache, so jedenfalls erlebe ich das im Alltag.
Bleiben Sie, was das Gendern angeht, vor allem authentisch! Hören Sie auf Ihr eigenes Gefühl und glauben Sie keinem "Experten", egal ob männlich oder weiblich ;-). Manchmal wird erst durch die ständige Doppelbenennung von "Kunden und Kundinnen" ein Sexismus in die Sprache eingeführt, wo er vorher durch den rein generischen, geschlechtsunabhängigen Oberbegriff gar nicht vorhanden war. Etablierte Formulierungen werden so leicht zum Schauplatz eines ideologischen Konflikts. Gendersprache und Sonderzeichen wirken nicht per se verbindend, sondern können auch als trennend wahrgenommen werden. Dabei ist doch die gemeinsame Sprache ein wichtiges Mittel, um eine plurale Gesellschaft zusammenzuhalten.
¹ Quelle: de.statista.com/infografik/24913/befragte-die-gendergerechte-sprache-wie-folgt-bewerten/
² eom.de/insights/gendern-im-marketing-simone-burel-18879.html