3Q Jahre freudvolles Schaffen - Teil 2
Vor 3Q Jahren: Das erste große Projekt
Den jungen Martin hatte es 1991 in die Nordpfalz verschlagen. Ursprünglich von der Mosel kommend, zog er zwecks Design-Studium in die Nähe von Mainz. Okay, "in die Nähe von" ist etwas euphemistisch ausgedrückt. Es war auch nicht ganz freiwillig – eine geräumige Wohnung in der Stadt war aber schon damals unbezahlbar, während es in der Pampa günstigen und attraktiven Wohnraum en masse gab. Und den brauchte er, um Platz zum Wohnen, aber vor allem zum Arbeiten zu haben.
So landete er in einem alten Häuschen mit Garten am Fuße des Donnersbergs und tat neben dem Studium das, was er zuvor schon recht professionell tat – er arbeitete an kleineren Projekten z.B. für Winzer, Schnapsbrenner, Gastronomen und Hoteliers überwiegend aus seiner alten Heimat (Mosel). Um dem Ganzen schließlich einen formellen Rahmen zu geben, gründete er 1992 mit 23 jungen Jahren seine Firma ARTelier Reiss. Eine Entscheidung, die nicht folgenlos blieb, denn nun mussten weitere Aufträge her.
Da die Mosel und die bisherigen Auftraggeber überwiegend touristisch tickten, startete er in der neuen Heimat eine entsprechende Kaltakquise in Form einer Mailingaktion. Auf der Schreibmaschine(!) tippte er einen Brief und schickte diesen an 20-30 Verantwortliche für Tourismus und Stadtmarketing in der Pfalz. Für uns bis heute ein denkwürdiges Schreiben, das unter anderem Karl-Heinz Seebald, damals Doppel-Bürgermeister in der nahegelegenen Stadt und Verbandsgemeinde Rockenhausen, erreichte.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Gegend um Rockenhausen etwas verächtlich die "Alt´ Welt" genannt wurde und 1991 Schauplatz eines legendären Tatorts mit Ben Becker war. "Tod im Häcksler", ein abgründiges Krimidrama und düsteres Provinzstück, erregte seinerzeit die Gemüter und rief mit seiner "grotesken Überzeichnung provinzieller Zurückgebliebenheit" sogar den damaligen Ministerpräsidenten Rainer Brüderle auf den Plan, der die diskriminierende Darstellung der Region und Verunglimpfung der Pfälzer kritisierte. (Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Tatort:_Tod_im_Häcksler)
Mehr muss man eigentlich nicht wissen, um zu verstehen, dass dieses gottverlassene Stück Nordpfalz sehr großen Nachholbedarf in Sachen Imagewerbung hatte! So war es denn glückliche Fügung, dass Rockenhausens Bürgermeister Karl-Heinz Seebald prompt auf das Mailing reagierte. Zunächst zwar nur mit dem Anliegen, ein neues, modernes Logo für seine Stadt kreieren zu lassen. Der geneigte Leser kann sich allerdings vorstellen, dass es dabei nicht bleiben sollte...
Das durch den Tatort doch sehr ramponierte Image der ländlichen Region ließe sich mit Hilfe einer gut gemachten Marketingkampagne sicherlich wieder etwas aufwerten. Martin Reiss gelang es jedenfalls, die Verantwortlichen verschiedener Gremien davon zu überzeugen, dass er genau der richtige Mann für diese wichtige Mission sei.
Ob es an seiner Begeisterung für das unentdeckte und unterschätzte Potential der Pfälzer Provinzregion lag, lässt sich heute nur schwer beurteilen. Aber Martin war fest davon überzeugt, dass alles, was auf den ersten Blick rückständig wirkte, in einem anderen Licht betrachtet, eine ganz wunderbare Sache sei: Jede Menge unberührte Natur und ein noch ursprüngliches, weitestgehend intaktes Dorfleben – genau danach sehnten sich in der Zeit vor dem großen Milleniumswechsel nämlich viele Leute! (Ein typisches Phänomen übrigens, das man so auch schon im letzten "Fin de Siècle", also Ende des 18. Jahrhunderts beobachten konnte ...)
Die Not zu Tugend gemacht: Die Vorzüge der Provinz
Der Donnersbergkreis hatte – jedenfalls für uns – einen ganz besonderen Reiz und jede Menge einsamer Natur zu bieten. Ich weiß wovon ich spreche, denn ich habe viele Stunden auf dem Rücken meines Pferdes damit verbracht, das Nordpfälzer Bergland zu erkunden, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen (mein persönliches Highlight: Das Gelände bei Imsbach zwischen Weißer Grube und Löwenbergs-Ruhe).
Hoch zu Ross unterwegs am Donnersberg, spannende Projekte auf dem Tisch und das Plakat zum Herbstfest der Stadt Rockenhausen an der Wand. Von klein auf dabei: Tochter Charlotte, denn eine Kita für unter 3-Jährige gab es in der Provinz noch nicht.
Man fühlte sich fernab der Zivilisation. Doch das schien nur so – wer Kultur suchte, konnte auch diese finden. Denn der weitsichtige und weltoffene Bürgermeister Seebald hatte durch attraktive Kunstprojekte und Veranstaltungsreihen wie den Musikalischen Sommer ein tolles kulturelles Angebot auf den Weg gebracht. Es fehlte aber an der entsprechenden medialen Unterstützung und attraktiven Außendarstellung dieser vielseitigen Region.
Das inzwischen auf vier Mitarbeiter angewachsene ARTelier Reiss machte sich mit großem Enthusiasmus an die Arbeit, um die vielen schönen Seiten der Region herauszuarbeiten. Auch damals galt bei uns schon die Devise "Finden geht vor Erfinden". Und fündig wurden wir in vielerlei Hinsicht. Wir entdeckten z.B., dass die drei Roggenähren im alten Stadtwappen darauf hindeuten, dass der Name Rockenhausen aus dem Wort Roggen entstand. Ein historischer keltischer Sandstein untermauerte diese Vermutung ebenfalls, auch wenn eine andere These einen Adligen namens Rocco für den Namensgeber hält. Sei‘s drum, Roggenähren und die Farbe Blau vom Wappen gehörten inzwischen fest zum Bild der Stadt und sollten darum in abgewandelter Form im neuen Look erhalten bleiben.
So entstanden in den 90er Jahren neben Logo und Corporate Design auch eine ganze Reihe anderer attraktiver Medien für Rockenhausen: Veranstaltungskalender und -plakate, Anzeigen, eine umfangreiche Tourismusbroschüre, Marketing für Kunstprojekte wie den internationalen Daniel-Henry-Kahnweiler-Preis (ein Mäzen und Sohn der Stadt Anfang des 20. Jhdts.) oder das Museum Pachen. Auch die pädagogisch konzipierte Infobroschüre und Fassadengestaltung einer Kläranlage im Corporate Design und ein modulares Orientierungssystem, das sogar mit dem red dot ausgezeichnet wurde, konnten erfolgreich realisiert werden. (Mehr zur genialen Idee und Umsetzung von flexsign® berichten wir vielleicht ein andermal).
Das Design und Erscheinungsbild der Stadt Rockenhausen ist übrigens bis zum heutigen Tag nahezu unverändert im Einsatz. Und auch die Medien aus den frühen 90ern können sich noch immer sehen lassen ...
Ein gelungenes Debutstück und schöner Beginn einer Erfolgsgeschichte!